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| Ander Nieuws week 34 / nieuwe oorlog 2008 |
 
 
 
"Keine Angst vor Russland"

Humanitäre Intervention statt Nichteinmischung lautet das neue Prinzip in Russland, sagt der Politologe Herfried Münkler
 
Die Tageszeitung (BRD)
14.08.2008
Interview: Ralph Bollmann
 
taz: Herr Münkler, nach dem Einmarsch der Russen in Georgien warnen manche schon vor einem neuen Kalten Krieg. Ist diese Sorge berechtigt?
Herfried Münkler: Georgien steht nicht für die Wiederkehr des Kalten Krieges, sondern für die Wiederkehr des russischen Selbstbewusstseins. Auch für die neue Handlungsfähigkeit des russischen Militärapparats und für die beschränkten Optionen der Amerikaner.
 
Ist das eine Gefahr für den Westen?
Die Russen haben den Westen ja nicht überrumpelt wie einst in Afghanistan. Die Aktion ging von georgischer Seite aus - auch wenn sich eine etwas naive Führung in Tiflis vielleicht in eine Falle locken ließ. Natürlich ist das Handeln der Russen von einigem Raffinement, aber da haben sie sich manches von den Amerikanern abgeschaut.
 
Von der Vorbereitung des Irakkriegs?
Eher von den Aktionen, mit denen die Amerikaner seit den Fünfzigerjahren in der Karibik angeblich nur ihre Staatsbürger schützen wollten. Wenn man die Karibik als Hinterhof der USA betrachtet, dann könnte man für das Verhältnis des Kaukasus zu Russland Ähnliches sagen.
 
So manche Völkerrechtler sagen, das russische Vorgehen in Südossetien sei juristisch nicht gedeckt.
Die entscheidende Frage ist: Hat eine Minderheit das Recht zur Separation, wenn der Blauhelmeinsatz der UN gescheitert ist? Beim Kosovo haben die Russen das noch verneint. Inzwischen haben sie ihre Rückendeckung für Serbien aufgegeben, weil das Land nach Westen strebt. Nun sagen sie sich: Dann verabschieden wir uns vom Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten und greifen selbst zum Argument der humanitären Intervention.
 
Es gibt Leute, die das russische Eingreifen in Südossetien mit Hitlers Einmarsch ins Sudetenland vergleichen.
Die Frage ist, ob dieser Vergleich zur moralischen Desavouierung des russischen Vorgehens taugt. Es lässt sich schwer bestreiten, dass der deutschen Minderheit in der Tschechoslowakei nach dem Ersten Weltkrieg das Selbstbestimmungsrecht vorenthalten wurde.
 
Sie meinen, Hitlers Vorgehen 1938 entbehrte nicht einer juristischen Grundlage?
Zumindest nicht einer moralischen Grundlage, wenn man das Selbstbestimmungsrecht der Völker betrachtet. Die Frage ist, ob dieses Selbstbestimmungsrecht Vorrang hat - oder die territoriale Integrität der Staaten.
 
Was ist Ihre Antwort?
Die seit einigen Jahren gebräuchliche Kompromissformel lautete: responsibility to protect. Ein Staat ist verpflichtet, die Minderheiten auf seinem Gebiet zu schützen. Tut er es nicht, kann man eingreifen.
 
Gilt das auch für Tibet?
Die chinesische Führung wird jedenfalls nicht besonders erfreut sein, dass die Russen vom Prinzip der Nichteinmischung zum westlichen Modell der Intervention umgeschwenkt sind. Bislang haben Moskau und Peking in dieser Frage ähnlich argumentiert.
 
Taugt das Selbstbestimmungsrecht der Völker für Regionen wie den Balkan oder den Kaukasus, wo es nie zu einer stabilen Nationalstaatsbildung gekommen ist?
Sicherlich nicht. Die Frage ist nur, wie man damit umgeht. Diese zurückgebliebenen Gebirgsregionen gehörten immer zur imperialen Peripherie der Donaumonarchie, der Osmanen, des zarischen Russlands. Auf dem Balkan hat diese Rolle nun die Europäische Union übernommen. Mit ihrem Sicherheitsnetz gibt sie kleinen Gruppierungen die Möglichkeit, so etwas wie Eigenstaatlichkeit zu entwickeln - wohl wissend, dass sie nie wirklich handlungsfähig werden.
 
Im Kaukasus muss das russische Imperium diese Rolle übernehmen?
Die Zeiten einer zarischen oder gar Stalin'schen Herstellung von Ruhe und Ordnung sind vorbei. Aber es müsste so etwas wie einen wohlwollenden Hegemon geben, der in dieser sehr zurückgebliebenen Region für Sicherheit und Entwicklung sorgt.
 
Wer sollte das sein?
Das Problem betrifft nicht nur den Kaukasus. Zwischen der Nato und Russland zieht sich eine Pufferzone von Weißrussland über die Ukraine bis zum Kaukasus. Die Europäer finden das insgeheim nicht schlecht, offiziell räumen sie diesen Ländern aber das Recht auf freie Bündniswahl ein. Für den Fall eines Nato-Beitritts zeichnet sich aber schon das Zerbrechen auch der Ukraine ab, wo der östliche Teil lieber bei Russland bliebe. Der Georgienkrieg würde sich dann in viel größerem Maßstab wiederholen.
 
Muss die Nato von einer Erweiterung endgültig Abstand nehmen?
Sie sollte sich mit den Russen über die Einflusssphären verständigen.
 
Wäre das nicht imperialistisch?
Imperialistisch nicht, aber imperial durchaus.
 
Das klingt, als hielten Sie Boykottaufrufe gegen undemokratische Regierungen wie in Russland oder China für etwas naiv.
Diese Formulierung ist noch stark untertrieben. Man kann nicht von außen eine Entwicklung erzwingen, die in Westeuropa das Ergebnis vieler glücklicher Jahrzehnte gewesen ist. Wenn wir zum Beispiel nicht zu den Olympischen Spielen fahren, dann beeindrucken wir damit allenfalls uns selbst. Undemokratische Regierungen sind dadurch weniger leicht zu beeindrucken, eher kommt es auch in der dortigen Bevölkerung zu einer Irritation über das Verhalten des Westens.
 
Weil man Gefahr läuft, einen Solidarisierungseffekt mit dem Regime hervorzurufen?
Und sich durch das Management der Prozesse zu überfordern, die man damit anstößt. Die Unterstützungsfähigkeit des Westens kommt ja schon in vergleichsweise kleinen Ländern wie Afghanistan oder dem Irak an ihre Grenzen.
 
Im Zweifel lieber Stabilität als Menschenrechte?
Das amerikanische Konzept der bedingungslosen Demokratisierung ist jedenfalls gescheitert. Einfach nur Wahlen abzuhalten, führt oft nur in einen Bürgerkrieg. Deshalb erscheint es vernünftiger, erst auf Stabilisierung zu setzen und dann vorsichtig zu demokratisieren.
 
Manche sehen in Russlands Rohstoffen oder Chinas Wirtschaftskraft schon eine Gefahr für die westlichen Demokratien. Ist das so?
Im Gegenteil. Ein selbstbewusster und starker Akteur kann sich rational verhalten. Deshalb sollten wir hoffen, dass die chinesische KP auch in den nächsten Jahrzehnten die Rahmenbedingungen für die Entwicklung dieses Riesenreichs aufrechterhalten kann. Ein Zerfall Chinas wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als sich alle möglichen Mächte zur Intervention berufen fühlten, wäre katastrophal.
 
Halten Sie die Sorgen vor Russland und China für unberechtigt?
Das sind Horrorszenarien, die von interessierter Seite an die Wand gemalt werden. Russland ist kein Grund zum Gruseln. Es ist auf den Rückfluss an Dollar und Euro ebenso angewiesen wie wir auf die Lieferung von Gas und Öl. Und China wird noch sehr lange brauchen, bis es das Sozialprodukt der USA erreicht. Das Pro-Kopf-Einkommen ist dann immer noch viel kleiner. Hinzu kommen die immensen demografischen und sozialen Probleme, die sich aus der Ein-Kind-Politik ergeben werden.
 
Es bleibt bei der monopolaren Weltordnung?
Man sollte bloß die Möglichkeiten des Hegemonen USA nicht überschätzen. Das musste jetzt auch der georgische Präsident Saakaschwili lernen.
 
HERFRIED MÜNKLER, 56, ist seit 1992 Professor für Theorie der Politik an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er veröffentlichte "Die neuen Kriege" (2002) und "Imperien - Die Logik der Weltherrschaft" (2005). Im Herbst erscheint "Die Deutschen und ihre Mythen" (alle Rowohlt Berlin).
 
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