Wer überwacht die Soldaten? Israelische Frauen greifen zum Bleistift
Mitglieder der Menschenrechtsgruppe «Machsomwatch» kontrollieren das Verhalten israelischer Soldaten, die an den Checkpoints stehen. Eine Fahrt an einer heissen Grenze, wo Dinge passieren, die manche lieber nicht notiert sehen möchten.
Neue Zürcher Zeitung
21. Juli 2002
Von Gunhild KüblerHeiss ist es an diesem Nachmittag im Büro des palästinensischen «Frauenzentrums für Rechtshilfe und Rechtsberatung» nördlich von Jerusalem. Norah O., Dina H. und Roni H., drei Frauen der israelischen Menschenrechtsgruppe «Machsomwatch», sind gekommen, den Fall eines palästinensischen Mädchens abzuklären, das an diesem Morgen an einem Checkpoint in Beit Hanina von israelischen Soldaten zwei Stunden lang sexuell belästigt worden sein soll. Die Sechzehnjährige war unterwegs gewesen zu ihrem Arbeitsplatz als Haushaltshilfe in Jerusalem. Auf dem Rückweg war sie im Frauenzentrum vorbeigekommen. Jetzt ging es darum, die Namen der Soldaten festzustellen, damit Klage gegen sie erhoben werden konnte.
Die drei Frauen aus Israel sehen sich ratlos an. Gerade hat die palästinensische Sozialarbeiterin Suad Abu Deli ihnen eine einfache Frage gestellt: «Haben diese Grenzpolizisten nicht einen Dienstplan? Da wir die Zeitspanne wissen, in der die Männer am Checkpoint waren, muss sich doch ihre Identität leicht feststellen lassen.» Dina zuckt die Schultern. Nachfragen dieser Art bei Armee und Polizei, sagt sie, hätten noch nie zu einem Ergebnis geführt. Dienstpläne scheine es nicht zu geben, oder sie seien geheim. Das Mädchen hätte sich besser die Autonummer des Jeeps merken sollen, physiognomische Auffälligkeiten der Mä nner, ihre Vornamen. Ohne solche Hinweise wird es in diesem Fall nie Angeklagte geben.
Ein Gefängnis
Da wird die Sozialarbeiterin Suad grundsätzlich. «Hilft das jemandem, was Sie da machen?», fragt sie die drei aus Israel. «Wissen Sie, was es heisst, dass wir hier, um von einem unsrer Dörfer ins andere zu kommen, eine Bewilligung der Israeli brauchen? Dass mir der Aufenthalt im Büro nur bis 19 Uhr gestattet ist und ich, wenn es später wird, nicht mehr heim kann? Bin ich kriminell, dass ich hier wieim Gefängnis leben muss? Und warum kann ich bei der grössten Hitze nie an den Strand von Tel Aviv, der von hier nur eine gute Autostunde weg ist?»
Suad ist freundlich geblieben bei ihrem Ausbruch. Ihr ist selbst klar, dass die drei Israeli die falsche Adresse sind für ihre Klagen. Von Roni daran erinnert, dass die Frauen von «Machsomwatch» durch ihre pure Gegenwart am Checkpoint schon manche Brutalität verhindert haben, lenkt Suad sofort ein: «Es sollte einfach mehr Frauen wieSie geben. Und an allen Checkpoints sollten sie stehen, Hunderte, den ganzen Tag lang.»
«Machsom» ist das hebräische Wort für Checkpoint. Die ersten israelischen Machsomwatch-Gruppen wurden im Januar 2001 gegründet als Antwort auf Presseberichte über Misshandlungen von Palästinensern an den Checkpoints. Die Frauen, die «Machsomwatch» initiierten, wollten dreierlei: das Verhalten israelischer Soldaten und Grenzpolizisten kontrollieren; darauf hinwirken, dass Misshandlungen nicht mehr vorkommen; und ihre Beobachtungen in Berichten niederlegen. Keiner sollte sagen können, man habe von all dem Schrecken nichts gewusst.
Stille Beobachterinnen
Die Initiative wird von israelischen Frauen getragen. Mehr als siebzig sind es inzwischen allein in Jerusalem. Sie schliessen sich zu Teams von drei bis vier Beobachterinnen zusammen und stehen in Schichten von zwei bis drei Stunden zu Stosszeiten an den Checkpoints, etwa in der Frü he, wenn Hunderte von palästinensischen Schulkindern und Arbeitnehmern passieren müssen, und am späten Nachmittag, wenn sie zurückkommen. Die mit einem kleinen, in Englisch, Hebräischund Arabisch bedruckten Ausweisschildchen am Revers gekennzeichneten Frauen von «Machsomwatch» postieren sich in der Nähe der Soldaten, beobachten deren Verhalten und machen Notizen. Ihre ruhige Präsenz soll eine Gegenkraft bilden zum herrschenden militaristischen Diskurs in Israel und auf die meist sehr jungen Soldaten mässigend einwirken.
Jetzt wollen sich die drei Israeli den neuen Checkpoint von Beit Hanina ansehen. Suad führt sie in die aufgerissene Quartierstrasse. Autos kommen hier keine mehr vorbei, nun soll sie auch für Fussgänger gesperrt werden. Deswegen haben drei Soldaten der Grenzpolizei hier ihren Jeep und einen Roadblock quer gestellt und so einen Checkpoint improvisiert. Zwei von ihnen, behelmt und schwer beladen mit Gewehr und kugelsicheren Uniformen, schlendern heran, wollen wissen, warum sich hier ein Grüppchen Frauen aufgebaut hat. Niemand werde hier belästigt oder gar misshandelt, sagen sie. Suad bleibt stumm. Ihr steht der Ärger ins Gesicht geschrieben. Von heute an werden die Frauen von Machsomwatch auch hier regelmässig vorbeikommen.
Die Checkpoints lähmen das Leben, die Verwaltung und die Wirtschaft im Palästinensergebiet, erzeugen Wut, Elend und Frustration, erscheinen aber der Mehrheit der Israeli als eine adäquate Sicherheitsmassnahme. Einen der wichtigsten Checkpoints will ich mir am Spä tnachmittag zwischen Jerusalem und Ramallah in Kalandia ansehen. Dort sei es heute ruhiger als sonst, versichern mir meine drei Begleiterinnen von Machsomwatch, obwohl man im Gehupe der wendenden Wagen, im Motorenlärm der in der Warteschlange langsam vorrückenden Autos und Lastwagen und im Rufen der Fahrer kaum mehr sein eigenes Wort versteht.
Alle Reisenden aus Privatautos, Bussen und Sammeltaxis müssen hier zu Fuss weiter. Bis vor wenigen Tagen wurden palästinensischen Autofahrern, die in der Nähe des Checkpoints parkten, von den israelischen Soldaten Schlüssel und Wagenpapiere abgenommen. Inzwischen haben die Frauen von Machsomwatch Parkzonen ausgeschildert und die Situation dadurchetwas entspannt.
Blosse Schikanen
Wir stellen uns in der Schlange der Fussgänger hinten an. Etwa vierzig Palästinenser, Männer, Frauen und Kinder, viele mit Gepäck, warten nach Geschlechtern getrennt zwischen den Betonriegeln in Hitze, Staub, Müll, Lärm und Abgaswolken darauf, einzeln vorgelassen zu werden zu einem etwa zwanzig Schritte entfernten und aus drei Betonblocks gebildeten Verschlag ohne Dach, hinter dessen Oberkante über einer Reihe Sandsäcke der behelmte Kopf einer jungen israelischen Soldatin erscheint. Links von ihr eine Art bemannter Ausguck. Weiter links ein weiterer Verschlag für die Soldaten, die die Autos aus der Warteschlange einzeln kontrollieren. Wer die Ausweiskontrolle passiert hat, kommt auf einen Weg, der etwa 150 Meter an der abgezäunten Strasse entlangführt bis zur Nordseite des Checkpoints, wo in einem ähnlichen Chaos jene Leute sich drängen, die nach Süden wollen. Auf dem Trampelpfad begegnen sich die von Süden und Norden kommenden Menschenkolonnen. Familienväter tragen ihre kleinen Kinder, andere schleppen Koffer, viele Plasticsäcke.Eine junge Frau im Kostüm macht den Eindruck, als käme sie gerade aus einem Büro. Sie hat eine Aktentasche bei sich, deren Inhalt niemand kontrolliert. Die ganze Veranstaltung hat ersichtlich keinen anderen Zweck als den, die Passanten zu schikanieren. In der Autoschlange am Nordeingang zum Checkpoint wartet der Wagen einer palästinensischen Ambulanz. Die Frauen vonMachsomwatch machen Ofer, einen ihnen bereits bekannten Offizier, auf das blockierte Rettungsfahrzeug aufmerksam. Nun kommt Bewegung erst in Ofer, dann in die Warteschlange. Die Ambulanz kann ausscheren und vorbeifahren. Zurück am Südausgang wenden sich einige Fahrer, deren Autoschlüssel konfisziert wurden, an die Machsomwatch-Frauen. Wieder wird Ofer zu Hilfe gerufen, belehrt aber diesmal die drei, dass die Fahrer hier durch Warten «erzogen» würden. So bringe man ihnen «law and order» bei.
Um mir die volle Absurdität der Checkpoints vor Augen zu führen, holt mich meine Machsomwatch-Begleiterin Yehudit E. kurz nach sechs Uhr morgens ab. Zu Fuss n ähern wir uns dem Checkpoint Bethlehem.
Alles ist still, ist er geschlossen? Da hetzt ein Dutzend Männer auf uns zu. Sie kommen aus dem Olivenhain des auf der Hügelkuppe über dem Checkpoint gelegenen ö kumenischen Instituts Tantur. Innerhalb von zwanzig Minuten überschreiten hier zirka fünfzig Palästinenser unkontrolliert die Grenze. Wir durchqueren den Olivenhain in Gegenrichtung. Mä nner und Frauen laufen an uns vorbei, unterwegs zu ihren Jobs in Jerusalem. Wo zwei Drittel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben und die Arbeitslosigkeit bei ü ber fünfzig Prozent liegt, ist ein Arbeitsplatz kostbar. Auch wenn man riskieren muss, den Weg dahin mit dem Leben zu bezahlen wie der 36-jährigeFamilienvater Mussa Dragma. Unterwegs zu seinem jüdischen Chef, für den er 16 Jahre gearbeitet hatte, wurde er hier am 22. Mai 2002 aus vier Metern Distanz von der israelischen Grenzpolizei erschossen.
Später fahren wir auf der Tunnelstrasse, die den Verkehr der Siedler von dem der palästinensischen Dörfer Husan und El Hader trennt. Auf der durch Erdwälle blockierten Palästinenserstrasse gehen Kolonnen von Menschen, viele mit Lasten bepackt. Indessen fliesst der Verkehr auf der Strasse für die Siedler zügig. Seitliche Betonplatten sollen die Menschen vor Schüssen bewahren. Auf einer davon prangt ein Graffito: «Keine Araber, keine Terrorattacken», ü bersetzt Yehudit. Klingt logisch. Es ist die Logik vom «Transfer» der Palästinenser. Sie macht es notwendig, dass ein paar Frauen es nicht aufgeben, um eine andere Logik zu kämpfen.
«Nachfragen bei Armee und Polizei haben noch nie zu einem Ergebnis geführt, Dienstpläne scheint es nicht zu geben, oder sie sind geheim.»
«Es sollte einfach mehr solche Frauen geben, die an allen Checkpoints stehen - Hunderte, den ganzen Tag lang.»