Die US-Truppen haben in Al Qaidas neuer Hochburg keine Chance Al Qaida wurde umbenannt. Jetzt heißt sie Fath-e-Islam, auf Deutsch "Sieg des Islam"
Die Welt
31. August 2002
Von Sophie MühlmannAl Qaida, "die Basis", gibt es nicht mehr. Dabei ist die Terrororganisation weit davon entfernt, endgültig zerschlagen worden zu sein. Sie wurde nur umbenannt. Jetzt heißt sie Fath-e-Islam, auf Deutsch "Sieg des Islam". Ihr Anführer Osama Bin Laden, so berichtet die Zeitschrift "Asia Times", sei ebenfalls lebendig. Selbst sein wahrscheinlicher Aufenthaltsort sei bekannt: Kunar in der Grenzregion im Nordosten Afghanistans. Die Bedeutung dieser Provinz sei den USA wohl bekannt, heißt es weiter, doch Kunar sei uneinnehmbar.
Die Provinz ist paschtunisches Stammesgebiet. Die dortigen Fürsten sind alle ultrakonservativ und antiamerikanisch. Die Al Qaida profitiert hier von der allgemeinen Auflehnung gegen die amerikanische Präsenz und baut in der Provinzhauptstadt Asadabad ihr Netzwerk weiter aus. Schon unmittelbar nach dem Sturz der Taliban hatten Experten Kunar als größtes Hindernis auf dem Weg zum endgültigen Sieg gegen Al Qaida bezeichnet, hier werde "die letzte große Schlacht" stattfinden, eine Schlacht, die für die US-Truppen fatal ausgehen könnte.
Diese haben in Afghanistan bereits eine Reihe empfindlicher Niederlagen erlitten. Die Operation Anaconda im vergangenen März, die bisher größte Offensive im Anti-Terror-Krieg, ist im Prinzip gescheitert: Der Großteil der Taliban und Al-Qaida-Kämpfer konnte entkommen. Der Widerstand gegen die Amerikaner, besonders im Osten des Landes, ist stark. Große Teile der paschtunischen Bevölkerung hassen die tadschikischen Dominanz in der Hauptstadt Kabul. Dass die USA die Zentralregierung unterstützen, treibt viele in die Arme des Feindes.
Am vergangenen Wochenende zum Beispiel rückten Hunderte von US-Spezialeinheiten mit Kampfhubschraubern und Regierungstruppen auf Zormat in der östlichen Provinz Paktia vor. Sie durchsuchten jedes einzelne Haus und fanden doch nichts weiter als eine Handvoll Gewehre. Die Al-Qaida-Kämpfer, in diesem Fall Tschetschenen, waren längst geflüchtet. Das Muster ist immer das Gleiche: Lokale Stämme warnen die Al Qaida, sie verstecken sich in den Bergen oder unter der Bevölkerung, schlüpfen ins Niemandsland des Grenzstreifens und kehren dann zurück, wenn die Luft wieder rein ist. Der US-Kommandeur der Operation in Zormat, James Huggins, musste sein Scheitern offiziell eingestehen: "Es war mir klar, dass es an jedem einzelnen Ort, den wir aufgesucht haben, im Voraus Warnungen gegeben hat."
Schlimmer noch: Die Zahl der amerikanischen Opfer nimmt zu. Auf den Basaren in der Grenzregion steigt das Angebot an Nachtsichtgeräten, M-16-Sturmgewehren und hochwertigen Trekkingstiefeln - amerikanische Kampfausrüstung, den gefallenen US-Soldaten gestohlen. In Kunar, der unzugänglichsten aller Regionen, würden die Opferzahlen, so ein Kenner der Region, noch drastischer ausfallen.
Ein weiterer Feind der USA hält sich in dieser Provinz auf: Gulbuddin Hekmatjar. Ein erklärter Gegner der Zentralregierung in Kabul und berüchtigter Befürworter einer islamischen Revolution. Hekmatjar verfügt über ein umfassendes Waffenarsenal, unter anderem über mindestens 80 Stinger-Rakten. "Asia Times" zitiert einen afghanischen Informanten: "Hekmatjar hatte bei der Loja Dschirga im Juni 319 Abgeordnete auf seiner Seite. Außerdem kontrolliert er vier Gouverneure." Der gefährliche Einfluss des Warlords ist ebenso wenig zu unterschätzen wie seine dubiosen Ziele.
Geheimdienstquellen zufolge gab es Anfang August ein heimliches Treffen in Kunar. Einer der Ehrengäste war Hekmatjar. Nun, so schreibt "Asia Times", versucht jeder einzelne Geheimdienst dieser Erde fieberhaft herauszufinden, wer sonst noch alles dabei war.