Kriegsverbrecher Bush? Mit der von den USA geplanten Irak-Intervention droht die weltpolitische Anarchie.
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8. Oktober 2002
Von Georg Hoffmann-OstenhofEs gibt ein einziges triftiges Argument, das für die Kriegspolitik von George W. Bush und Co spricht. Und das lautet: Gerade bei Bösewichtern wie Saddam Hussein sind Verhandlungsergebnisse nur zu erzielen, wenn dahinter eine glaubwürdige Androhung von Gewalt steht. Konkret heißt das, der irakische Diktator wäre ohne das Säbelrasseln Amerikas gewiss nicht bereit, Inspektoren wieder ins Land zu lassen.
Dieses Argument sticht vor allem gegenüber jenen, die sagen, dass ein Krieg gegen den Irak unter allen Umständen zu vermeiden sei. Das verkündete Gerhard Schröder im Wahlkampf und war damit erfolgreich. Die Polemik seines Rivalen Edmund Stoiber, dass damit das Drohpotenzial gegenüber Saddam geschwächt werde, hatte einen wahren Kern.
Die Amerikaner aber haben von Anfang an dieses für sie so starke Argument sabotiert. Es war immer klar, und es wird immer eindeutiger: Ihnen geht es nicht wirklich um die Beseitigung der Massenvernichtungswaffen von Saddam, die angeblich so bedrohlich sind. Sondern um Saddams Sturz. Sie wollen UNO-Inspektoren mit einem weitgehenden Auftrag in den Irak schicken, nicht um die gefährlichen Waffenlager und -produktionsstätten aufzuspüren und dann zu zerstören. Sie suchen bloß einen Vorwand, um zuzuschlagen.
Der jetzt vorgelegte neue Resolutionsentwurf, den Washington im UNO-Sicherheitsrat durchdrücken will, lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Sollte der durchgehen, hieße das grünes Licht für eine amerikanische Besatzung. US-Truppen würden die Inspektoren begleiten, Landerecht gäbe es für jeden beliebigen Ort. Überall könnten Zonen eingerichtet werden, in denen jeder andere Flug- und Straßenverkehr verboten wäre. Mitarbeiter von irakischen Rüstungsprogrammen könnten mitsamt ihren Familien zwecks Befragung ins Ausland gebracht werden.
Außerdem würde, geht es nach dem amerikanischen Resolutionsentwurf, Washington jederzeit das Recht eingeräumt, den offenen Krieg gegen den Irak zu beginnen, ohne nochmals die UNO konsultieren zu müssen. So heißt es etwa: Falls Bagdad nicht vollständig Rechenschaft über seine Massenvernichtungswaffen und Raketenprogramme ablege oder die Inspektionen behindere, wären die UNO-Mitgliedstaaten zum "Einsatz aller notwendigen Mittel zur Wiederherstellung des internationalen Friedens und der Sicherheit in der Region" berechtigt. Im Klartext: Militärintervention, wann immer die USA wollen.
Die Völkerrechtler schreien auf: Das amerikanische Vorhaben zerstöre die Grundlagen der modernen Weltordnung, die seit dem Westfälischen Frieden des Jahres 1648 besteht, einer Ordnung, die davon ausgeht, dass die Anerkennung der staatlichen Souveränität die Grundlage sei, ohne die die Welt in Anarchie versinken würde.
Gewiss ist dieses völkerrechtliche Fundament schon in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten erodiert. In dem Moment, in dem die Menschenrechte immer mehr ins Zentrum internationaler Politik rücken und "humanitäre Interventionen" auf der Tagesordnung stehen, wackelt der Westfälische Frieden beträchtlich. Da ist einiges im Fluss.
Das geplante Irak-Abenteuer jedoch wird nicht einmal als "humanitäre Intervention" getarnt, sondern offen als "pre-emptive" als vorbeugender Krieg deklariert. Abgesehen davon, dass bisher niemand glaubhaft machen konnte, dass Saddam tatsächlich eine unmittelbare Bedrohung für irgendwen (außer sein eigenes Volk) ist: Die nicht zuletzt von den USA verfasste UNO-Charta von 1945 macht klar, dass die "Drohung mit oder Verwendung von Gewalt gegen die territoriale Integrität oder politische Unabhängigkeit eines Staates" ungesetzlich ist. Nicht nur das: In den Nürnberger Prozessen gegen die Nazibonzen wurde der "pre-emptive war" explizit als Kriegsverbrechen behandelt. George W. Bush ein Kriegsverbrecher?
Nun wird eingewendet, dass alle diese völkerrechtlichen Grundsätze dutzende Male ohnehin schon gebrochen wurden. Auch von den USA. War der Vietnamkrieg nicht ein Aggressionskrieg? Und was ist mit den Interventionen in lateinamerikanischen Bananenrepubliken? Das stimmt. Aber immer haben die Vereinigten Staaten versucht, ihren militärischen Aktionen das Mäntelchen der völkerrechtlichen Legalität umzuhängen so wenig überzeugend diese Versuche auch gewesen sein mögen.
Das Neue an der jetzigen Situation ist, dass die Vereinigten Staaten auch in ihrer Propaganda kein Geheimnis daraus machen, dass sie sich um die internationalen Abmachungen und Regeln nicht scheren. Der Bruch mit diesen ist Programm in gewisser Weise ein revolutionäres Programm.
Und das ist das Gefährliche. Natürlich würde niemand auf der Welt nicht Europa, nicht die arabischen Staaten, am allerwenigsten das irakische Volk Saddam Hussein, sollte er gestürzt oder gar getötet werden, eine Träne nachweinen. Aber darum geht es nicht. Ein unter den jetzigen Bedingungen geführter Irak-Krieg stellte einen Präzedenzfall dar, der in letzter Konsequenz die Versuche der letzten vier Jahrhunderte, die Weltpolitik zu pazifizieren oder zumindest den Krieg einzuhegen und Regeln zu unterwerfen, zunichte macht.
Der Weg zu weltweitem Chaos wäre eröffnet. Denn so mächtig die USA auch sein mögen: Zur Herstellung einer wirklich globalen Pax Americana, in der die Supermacht imperial an allen Enden und Ecken des Globus Ruhe und Ordnung schafft, sind die USA dann doch nicht stark genug. Und dazu bereit noch weniger.
Es ist die vornehmste Pflicht Europas gemeinsam mit der UNO , die ultrarechten und unverantwortlichen Revolutionäre, die heute in Washington das Sagen haben, einzubremsen. Hoffentlich bringt Europa die Kraft dazu auf.